Je digitaler desto besser? So ein Quatsch!

„So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich“ könnte die Maxime für Investitionen in Digitalisierung lauten.
Es kann bereits erahnt werden, dass der digitale Wandel als Megatrend kein Thema ist, dem man weder als Organisation noch als Privatperson, entkommen kann. Die Frage nach einem Imperativ stellt sich somit nicht, da zunehmend sowohl Kunden, als auch Ausstattung etc. miteinander verbunden sind. Vielmehr müssen sich Unternehmen fragen, wo sie heute stehen, wo der Markt steht, in dem sie sich heute bewegen und morgen bewegen möchten. Danach richten sich Intensität und Geschwindigkeit des digitalen Wandels. Dabei trifft man mitunter auf Statements, wie das des ehemaligen CEO von IBM : „The only way to survice is to continuouly transform“.
Digitales Reifegradmodell - Definition
Dass es sich bei einem digitalen Reifegradmodell (in Folge als DMM = Digitale Maturity Model bezeichnet) um eine Methode bzw. Instrument handelt, um Status quo und Fortschritt des digitalen Wandels zu bestimmen, zu steuern und zu gestalten. Auch gibt es einen situativen Ansatz, bei dem Digitale Reife als Status der digitalen Transformation eines Unternehmens, beschrieben wird. Dies mit Blick auf den Einsatz, und was erreicht wurde. Das digitale Reifegradmodell stellt somit eine spezifische Form eines Reifegradmodells für die digitale Transformation dar.
Ein solches Modell scheint vor dem Hintergrund hilfreich, dass ein spezifisches Set an digitalen Fähigkeiten zu einem höheren digitalen Reifegrad führt was gem. zahlreichen Studien zu Wettbewerbsvorteilen, Kosteneffizienz und Unternehmensergebnissen (bspw. Umsatz, EBITDA) führt.
Doch ACHTUNG: Es scheint Vorsicht geboten, wenn sich Unternehmen mit entsprechenden DMM beschäftigen. Am Markt kursieren mehrere Hundert Modelle zum Thema, die mitunter eine zweifelhafte wissenschaftliche Grundlage vorweisen können. Zahlreiche Modelle wurden durch Beratungsunternehmen lanciert. Bis dato sind unzählige Möglichkeiten entstanden, den digitalen Reifegrad des eigenen Unternehmens schnell und einfach über online Analysetools zu bestimmen und eine Indikation zu erhalten.
Sie werden nicht verwundert sein, wenn Ihnen eine Reifegradmessung angeboten wird, die darin resultiert, dass Ihr Unternehmen an allen Ecken und Enden hinterher hinkt und dringend externe Unterstützung benötigt.
Lassen Sie sich nicht ins Boxhorn jagen!
FALSCH: "Je höher Ihr digitaler Reifegrad ist (egal, in welcher Branche etc,), je besser ist es"
Beispiel A:
Ein Softwarentwickler für Spezialsoftware im Gesundheitsbereich. Sie könnten das tollste und coolste Produkt entwickeln, dass Sie in Sachen "digitale Innovation" auf den Olymp hievt. Doch sind Ihre Kunden, Spitäler, digital noch in anderen Sphären unterwegs, so dass ein kunden"gerechtes" Produkt für Sie eine eher wenig digitalisierte und technisch wenig "fancy" Version ist. Stufe 3 von 5 beispielsweise. Doch genau das ist es, was der Kunde sich wünscht. Das ist es, wofür er bezahlen möchte. Das ist es, was statt 300 Tage Entwicklung nur 100 Tage kostet. Das ist der digitale Grenznutzen und genau der richtige Reifegrad in diesem Bereich. Nicht mehr, nicht weniger.
In den vergangenen zehn Jahren wurde auch eine Vielzahl an Studien zum digitalen Reifegrad durchgeführt. Dies sowohl branchenübergreifend, als auch dediziert für einzelne Branchen oder nach Unternehmensgröße. Überwiegend finden diese Studien REIN quantitativ statt, mithilfe eines Fragebogens, der meist in digitaler Form einer Internetseite auszufüllen ist. Allen Ansätzen gemein scheinen verschiedene Reifegradstufen, die Unternehmen je nach Fortschritt des digitalen Wandels erreichen können. Diese werden in unterschiedlichsten Dimensionen und Kriterien heruntergebrochen und auf verschiedenste Art und Weise dargestellt.
Das Reifegradmodell der Universität St. Gallen ist momentan das einzigste oder eines der ganz wenigen, welches die Ebene der Schwierigkeit, mit welcher die Erreichung eines Levels (hier an Reife) verbunden ist, berücksichtigt. Das bedeutet, dass die einfachsten Kriterien ein negatives Ergebnis haben und bspw. Kriterien, in der viele Teilnehmer hoch bewertet sind, weniger stark gewichtet werden. Eine weitere Ausprägung des Modells ist die Eigenschaft, dass eine bestimmte Punktezahl in einem Cluster erreicht werden. muss, um sich überhaupt für das nächste zu qualifizieren. Somit wird vermieden, dass ein gesamt hoher Reifegrad erreicht werden kann, wenn bspw. nur in einzelnen Bereichen eine entsprechende Exzellenz erreicht wurde.
Beispiel B:
Der Softwareentwickler aus Beispiel A hat, per Definition, seine Kompetenz vor allem in der Entwicklung von Software. Hier hat er die Besten der Besten als Mitarbeiter und top Kompetenz in der Produktentwicklung. Hier hat er einen top digitalen Reifegrad (sagen wir 5 von 5). Im Vertrieb und den internen Prozessen jedoch ist er in Teilen noch immer analog unterweg und es wird sehr viel Papier physisch ausgetauscht, manuelle Unterschriften eingesetzt, es bestehen Kundenkarteikarten etc. - digitale Steinzeit. Hier hat das Unternehmen einen sehr niedrigen digitalen Reifegrad (bspw, 1 von 5).
Um ganzheitlich erfolgreich zu sein, ist es jedoch notwendig, durchgängig ein höheres Niveau zu erreichen und echte Wettbewerbsvorteile werden nur dann möglich, wenn in allen Dimensionen (Funktionsbereiche) ein hoher Wert erreicht wird. Statt 5 von 5 im Produktmanagement zu erreichen, wäre es sinnvoller, bei 4 von 5 eher die anderen Bereiche auf eine 3 von 5 zu entwickeln. Potentelle Vorteile von 5 von 5 im einen Bereich sind mit 1 von 5 in anderen Bereichen NICHT realisierbar. Welches Niveau jeweils ausreicht, um "die Nase vorne zu haben", bedarf einer sehr guten Kenntnis des Wettbewerbs und des Markts.
Fazit
Den eigenen Status-quo bzw. digitalen Reifegrad zu kennen und wiederholt zu bestimmen, ist sinnvoll.
Doch lauern dabei unzählige Fallen und Möglichkeiten, Zeit, Geld und Motivation loszuwerden. Die Reifegradbestimmung bedarf eines wissenschaflich fundierten Aufbaus, der die richtigen Fragen zu den richtigen Themen erhebt und die Antworten richtig gewichtet sowie richtig auswertet und darstellt. Schon nicht mehr ganz so simpel.
Die Bestimmung des digitalen Reifegrads ist keine 1x Aktion. Es fällt Aufwand an und nur wer bereit ist, die Ergebnisse zu nutzen und aktiv zu werden, wird belohnt.
Tipp: Füllen Sie keine 0815 Standarderhebungen aus. Diese hinterlassen Sie nur "Still confused but on a higher level". Machen Sie eine Reifgradbestimmung - aber richtig.
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